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„ANNO 1843 D. P.“: Die Jahreszahl am Giebel dokumentiert die Anfänge der Manufaktur Robert Klaas

Die Buchstaben und Zahlen „ANNO 1843 D. P.“ oberhalb des halbrunden Giebelfensters sind noch immer zu entziffern: Das vor 169 Jahren errichtete Backstein-Wohnhaus im heutigen Solinger Stadtteil Ohligs ist Teil einer beeindruckenden Familien- und Firmengeschichte, die schon ein paar Jahre früher begonnen hatte. 1834 gründete der ehemalige Scherenmacher Peter Daniel Pauls („D. P.“) eine Federmessermanufaktur, die sich in den folgenden Jahrzehnten unter dem Namen von Pauls‘ Schwiegersohn Friedrich Robert Klaas zu einem international renommierten Hersteller feinster Taschenmesser entwickeln sollte. 1869, zwei Jahre vor der deutschen Reichsgründung, wurde das Unternehmen „Robert Klaas“ ins Handelsregister eingetragen. Die erfolgreiche Geschäftstätigkeit erforderte immer wieder räumliche Erweiterungen, die im Jahr 1908 zum Bau jenes mehrstöckigen Ziegelstein-Gebäudes führten, das bis heute die verschiedenen Manufakturbereiche und die Verwaltung beherbergt.

Am Rande des MesserGabelScherenmarkts 2012 in Solingen, auf dem Robert Klaas das auf 250 Exemplare limitierte Damast-Jahresmesser 2012 „The Blue Canoe“ präsentierte, lud mich Herr Guido Schiesen spontan zu einer privaten Führung durch die Manufaktur ein. Das imposante Gebäude wirkt ein wenig wie aus der Zeit gefallen, es ist ein Industriedenkmal, das an die Glanzzeiten der Solinger Schneidwarenfabrikation erinnert. Einst arbeiteten hier rund einhundert Menschen. Von der „Schlägerei“ (Solinger Jargon für eine Gesenkschmiede) bis zum fertigen Taschenmesser wurden an diesem Ort alle Produktionsschritte in Eigenregie durchgeführt.

Heute konzentrieren sich die rund zehn Mitarbeiter, unterstützt von Heimarbeitern und Zulieferern, auf die Montage und das Finish der Messer. Doch ein Wort wie „Finish“ passt so gar nicht in die Welt von Robert Klaas. Guido Schiesen verwendet bewusst die traditionellen Bezeichnungen für Berufe und Räumlichkeiten: Ich bekomme die Arbeitsplätze der Reider und Ausmacher zu sehen, ich betrete die Putzstube und die Packstube. In jedem Raum atmet man die Atmosphäre einer altehrwürdigen Manufaktur, die stets die Tradition höchster Handwerkskunst bewahrt hat. CNC-Fräsen und Computer sucht man hier vergebens, die Maschinen sind alt, zum Teil sogar sehr alt. Ich fühle mich hundert Jahre zurückversetzt – und genieße den unwiderstehlichen Charme des Anachronistischen. In den Regalen und Schubladenschränken lagern Materialien aus einer Zeit, als Robert Klaas noch Hunderte verschiedener Messermodelle anbot.

Es ist Sonntag, die Arbeit ruht, auf den Tischen und an den Maschinen liegen Griffschalen, Platinen, Federn, Klingen und Taschenmesser in unterschiedlichen Fertigungsstadien. Ich erkenne die Griffschalen und Backen für das bekannte Modell „Monolith“, das ich an diesem Tag bei mir trage und Herrn Schiesen voller Stolz zeige. „Sie haben wenigstens eins. Die Messer, die Sie hier sehen, sind schon alle verkauft. Wir können nur noch nicht liefern, weil wir auf die Klingen warten.“ Auch die Produktion des aktuellen Jahresmessers läuft noch auf Hochtouren. „Für diese limitierte Edition haben wir uns entschlossen, die Griffe per Hand zu vernieten“, erklärt mir Herr Schiesen. In der Packstube entdecke ich verschiedene Modelle der Marke „Hen & Rooster“, die hauptsächlich für den amerikanischen Markt bestimmt sind.

Als wir das Gebäude verlassen, kehre ich in die Gegenwart zurück. Ich mache mir klar, dass ich gerade kein Museum besichtigt habe, sondern einen Betrieb, der nach wie vor Menschen Arbeit und Lohn gibt, Menschen, die über eine unschätzbare Erfahrung und ein selten gewordenes handwerkliches Können verfügen. Was mir wie Nostalgie vorkommt, bedarf jedoch des unternehmerischen Kalküls. Solange es aber noch Menschen gibt, die handwerklich hochwertig verarbeitete Taschenmesser schätzen, wird es hoffentlich auch weiterhin traditionelle Manufakturen wie Robert Klaas geben.